Brief aus Berlin: Erklärung zur namentlichen Abstimmung

Brief aus Berlin: Erklärung zur namentlichen Abstimmung

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
liebe Freundinnen und Freunde,

DAS alles bestimmende Thema dieser Sitzungswoche war zweifelsohne die Verlängerung der Griechenlandhilfen. Nachdem die Griechen Anfang der Woche ihre Vorschlagsliste für Reformen übersandt hatten, stellte das Bundesfinanzministerium den Antrag auf Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer Verlängerung der Bereitstellungsfrist im Rahmen der bestehenden Hauptfinanzhilfevereinbarung zwischen den Griechen und dem ESFS. Am Donnerstag folgte eine Sondersitzung der Fraktion und am Freitag schließlich die namentliche Abstimmung. Bei dieser habe ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zugestimmt.

Bevor ich darlegen möchte, warum ich dem Antrag zugestimmt habe, möchte ich, aufgrund zahlreicher Zuschriften aus Ihren Reihen zu diesen Themen, herausstellen, dass das Mindestlohngesetz bereits nach Ostern auf den Prüfstand kommt. Ziel muss sein, die Fesseln der Bürokratie wieder zu lösen. Zudem konnte im Koalitionsausschuss erreicht werden, dass die umstrittene Arbeitsstättenverordnung in der geplanten Form nicht kommen wird. Unsere Fraktion will den Unternehmerinnen und Unternehmern die Freiheiten garantieren und unnötige Vorschriften vermeiden.

Nun aber zu den Griechenlandhilfen: Keiner der 310 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion hat sich die Entscheidung leicht gemacht. Es ist eine komplexe Sachlage, und für die beiden Positionen, Zustimmung oder Ablehnung, gibt es jeweils starke Argumente. Für mich persönlich überwogen dabei schließlich die Argumente für eine Verlängerung der Frist.

Die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu dem Antrag des Bundesfinanzministers bezieht sich lediglich auf eine technische Verlängerung des im März 2012 beschlossenen Finanzhilfeprogramms um bis zu vier Monate. Ohne einen entsprechenden Beschluss des Deutschen Bundestages wäre das Programm mit Ablauf des 28. Februar 2015 beendet, mit der Folge, dass die noch offenstehende Tranche des EFSF-Programms, 1,8 Milliarden Euro, und die Überweisung der SMP-Gewinne (Anleihekaufprogramm der EZB) aus dem Jahr 2014, 1,9 Milliarden Euro, automatisch verfallen wären.

Entgegen den Ausführungen verschiedenster Medienvertreter handelt es sich nicht um ein neues Programm. Durch den Beschluss wird auch kein „frisches Geld“ zur Verfügung gestellt. Dies ist derzeit auch überhaupt nicht erforderlich.

Eine Auszahlung der im laufenden Programm noch vorgesehenen restlichen Mittel erfolgt nicht ohne weiteres. Vielmehr müssen die EU-Kommission, die EZB und der IWF (ehemals Troika, auf Wunsch der griechischen Regierung umbenannt in: „Die Institutionen“) zustimmen. Eine Auszahlung kann im übrigen nur nach einer Beteiligung des Deutschen Bundestages (zumindest des Haushaltsausschusses) erfolgen.

Damit ist zunächst festzustellen, dass der Beschluss des Deutschen Bundestages keine spektakulären neuen Maßnahmen umfasst, sondern lediglich eine Verlängerung der Bereitstellungsfrist bedeutet.

Die beachtlichen Anpassungsbemühungen, die die früheren griechischen Regierungen und das griechische Volk bislang unternahmen, wurden quasi über Nacht um Monate, wenn nicht Jahre, zurückgeworfen. Zwar war auch bislang bei den Anpassungsprogrammen und der Griechenlandhilfe der Erfolg nicht sichergestellt. Griechenland befand sich aber insgesamt auf einem guten Weg. Nach sechs Jahren der Rezession konnte erstmals im Jahr 2014 ein Wirtschaftswachstum von 1,0 Prozent erzielt werden. Für die Jahre 2015 und 2016 wurde ein Wachstum von 2,5 Prozent und 3,6 Prozent prognostiziert, das jetzt in weite Ferne gerückt ist.

Ohne die gemeinsame Erklärung der Eurogruppe vom 20. Februar 2015 mit dem Bekenntnis der griechischen Regierung zu dem laufenden Reformprozess wäre die Geschäftsgrundlage für eine weitere Finanzhilfe entfallen. Die griechische Regierung bekräftigte hier, dass sie ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern einhalte und angemessene Primärüberschüsse zur Herstellung der Schuldentragfähigkeit bereitstellen werde. Da die griechische Regierung die in den bisherigen Verträgen gegebene Flexibilität nutzen und auch die „soziale Fairness“ verbessern will, hängt die Zustimmungsfähigkeit ganz maßgeblich davon ab, ob die griechische Reformagenda das klare Bekenntnis zur Fortsetzung des bisherigen Reformprogramms auch trägt.

Die Direktorin des IWF, Christine Lagarde, hat zutreffend festgestellt, dass die jetzt von der griechischen Regierung vorgelegte Reformliste ausreichend sei, um das Programm zu verlängern. Das klare Bekenntnis zu dem Reformprogramm fehle aber.

Griechenland muss in den nächsten Wochen eine realistische und tragfähige Reformagenda vorlegen. Die Auszahlungen der restlichen Beträge aus dem laufenden Programm oder Verhandlungen über eine mögliche Folgevereinbarung kommen nur dann in Betracht, wenn es sich bei den Erklärungen der griechischen Regierung nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt, sondern Griechenland den eingeschlagenen Anpassungsprozess fortführt. Luftbuchungen können nicht akzeptiert werden. Auch ist es nicht vertretbar, wenn die griechische Regierung neue Ausgaben (z.B. Lebensmittelmarken) mit erst langfristig zu erwartenden Einnahmen (Korruptionsbekämpfung, verbesserte Steuererhebung nebst verbessertem Steuereinzug, Optimierung der öffentlichen Verwaltung) „gegenrechnen“ will.

Wenn die griechische Regierung seriös und ernsthaft den bisherigen Reformprozess fortsetzt, kann Griechenland auch weiterhin auf die solidarische Unterstützung Europas zählen.

Derzeit steht nur Griechenland im Fokus des öffentlichen Interesses. Bei einer unkonditionierten Finanzhilfe stünde aber für Europa als Ganzes viel auf dem Spiel. Erstmals würde eine echte „Bail-Out-Union“ eingeführt werden, also eine echte verlorene staatliche Finanzierung eines EU-Mitglieds durch andere EU-Mitglieder. Dies ist nach Art. 125 AEUV verboten.

Die Europäische Union im Allgemeinen und die europäische Währungsunion im Besonderen werden sich dauerhaft nur dann erfolgreich behaupten können, wenn feste Regeln gelten, die die Stabilität sicherstellen. Sollten Griechenland Sonderrechte eingeräumt werden, würden Forderungen weiterer Eurogruppenmitglieder nach Sonderregelungen folgen. Wenn die bestehenden Regelungen für Griechenland nicht mehr gelten, werden EU-Mitgliedstaaten auch bei der Frage der Einhaltung der Maastricht-Kriterien und den länderspezifischen Empfehlungen Sonderrechte einfordern: Ein Fass ohne Boden.

Eine derartige Entwicklung, die mit dem Interesse der europäischen und deutschen Steuerzahler nicht zu vereinbaren wäre, muss unbedingt verhindert werden. Deshalb weise ich auch eine nicht ausreichend konditionierte Finanzhilfe – sollte diese zukünftig ein Thema werden – mit aller Entschiedenheit zurück.

Bei allem öffentlichen Interesse für die Griechenlandhilfen muss unser Blick auch weiterhin Richtung Ukraine gehen. Die Waffenruhe, so melden Berichterstatter vor Ort, wird mehr und mehr eingehalten. Eine dauerhafte, gewaltfreie Lösung des Konflikts bleibt unser Ziel, und durch Angela Merkel wird Deutschland in diesem Prozess hervorragend repräsentiert.

Ich freue mich auf die weiteren Begegnungen mit Ihnen.

Brief aus Berlin 03/2015